Tagesbericht 06.06.2023

11. Tag
Etappe von Unterwittighausen nach Tauberbischofsheim

Das erste Mal schreibe ich diesen Bericht – es geht mir viel durch den Kopf –
schon lange vor dem Start in die zweite Etappe nach Aub, als auch
währenddessen…
Ich bin jetzt das vierte Mal dabei – jedes Mal war es ein Erlebnis – jedesmal
wieder anders – jedesmal wieder neu und aufregend, spannend…
Geht alles gut? Passiert nichts – außer Positives? Ja – es passierte bisher nur
Positives. Zumindest für mich, außer schmerzenden Muskeln und Ansätzen von
Blasen an den Füßen. Ohne Training 12 – 14 km am Tag laufen im Pferdetempo
ist schon eine Herausforderung, die man körperlich spürt.
Wie dem auch sei: wie immer sind wir pünktlich gestartet um 10.00 Uhr – ein
großes Kompliment an die Führung des Unternehmens, an den Support, an alle
aktiven Menschen, die uns das Zugleben erleichtern. Da ich Hotel-Schläfer bin,
kann ich natürlich nichts erzählen von den Dingen, die während meiner
Abwesenheit passiert sind, Vielleicht ist es besser so…
Allerdings wurde mir gesprächsweise viel mitgeteilt über lauschige Abende,
Schnarchkonzerte im Zelt, Lieder am Lagerfeuer, eine Regendusche in der
vergangenen Nacht. Dabei sollte man nicht vergessen: keine Deo-Sprays in
Zeltnähe verwenden, weil die Imprägnierung Schaden nimmt… Wer hat Deo-
Sprays nötig, wo doch der Geruch der Pferde, der Geruch von frischem
Schweiß, die vielfältigen Gerüche der Natur (inklusive frisch gefallener
Pferdeäpfel), der Duft der Wälder, Wiesen und Felder überwiegen…
Los geht’s am Ort entlang und an der Eisenbahnstrecke entlang, wo uns die
„Konkurrenz“ der Güterzüge in die Gegenwart zerren aus der Langsamkeit der
Pferdefuhrwerke Anno 1750… Da wird einem klar, welche Zeitenwende
stattfand vor etwa 170 Jahren, als die Eisenbahn das Transportwesen
revolutionierte bis zum Auto und dem Individualverkehr – die bisher letzte
Revolution nutzen wir gerade auch: das Internet…
Der Kaufmannszug – eine Vergangenheit und Tradition, die wir wiederbeleben
und uns vergegenwärtigen, welche Last und Mühe unsere Vorfahren hatten,
Verbindungen zu schaffen und aufrecht zu erhalten. Handel bringt Wandel.

Wir ziehen mit unseren treuen Pferden und den unnachahmlichen
phantastischen Kutschen und Fuhrleuten durch eine aufdringlich sattgrüne
Landschaft unter einem blauen Himmel mit Wolken-Wattebäuschen und
dicken fetten weißen Wolkenbergen in der Ferne. Die Getreidefelder und das
hohe Gras veranstalten im leichten, uns kühlenden Wind, fröhliche LaOla-
Wellen, der Mais steckt schüchtern seine ersten Blättchen aus dem noch
trockenen Ackerboden. Wir nehmen direkt die Landschaft wahr, von der und
mit der wir leben. Erfreuen uns an der Atmosphäre, die uns umfängt. Saugen
die frische Luft ein in vollen Zügen – bis sie uns manchmal ausgeht und wir uns
auf die Wagen setzen und uns mitfahren lassen.
Und Dialogen lauschen, wie z.B.: „Mein Hund bekommt aber anderes Wasser
als die Pferde“… Oder: „Bist Du da? „Ja, ich bin da“ „Gut, dass Du da bist“ und
anderes Tiefgründiges…
Oder als ich bei der Steigung von Grünsfeld auf die Anhöhe vor dem Taubertal
und Tauberbischofsheim beim „Zurückfallen“ vom Anfang des Zuges
aufgefordert wurde: „Kumm uff de Waache, mir brauche Gewischt, damit die
Gäul was zu ziehe hawwe“ – dieser Aufforderung vom Fuhrmann zweier
massiver kraftvoller Kaltblüter konnte ich nicht widerstehen…
Und man lernt noch dazu: Pferde trinke nicht aus Gefäßen, in denen vorher
Fleisch oder Fett waren. Vögel urinieren nicht – das Weiße in der
Hinterlassenschaft ist quasi der Urin und die dunklen Flecken darin ist der Kot.
Na ja, gut dass der Falke mir gegenüber immer auf den Wagenboden gekackt
hat… Zur Besänftigung hat er mir zwei schöne Feder geschenkt, die er während
der Mauser verloren hat…
Erstaunlich ist auch die Anpassung der Tiere an ein ganz neues Erlebnis: ein
Hund, der das erste Mal dabei ist, hat sich voll akklimatisiert und läuft ruhig mit
– natürlich an der Leine. Unser Falke schläft mittlerweile tief und fest im Zelt,
auch wenn ringsum das Leben anbricht und die Leute wach werden. Und ganz
besonders der hellgrau gefleckte Tinker, ein Pferd in Ponygröße aus Island –
robust und stabil mit Strümpfchen an den Hufen und langen lockigen Haaren
an Schweif und Mähne, wurde einen Tag lang geführt, damit er sich vertraut
machen kann – jetzt wird er geritten und fühlt sich sichtlich wohl bei uns.
Ich denke manchmal, dass die Tiere zu allen unseren Leuten Vertrauen haben,
weil sie merken, dass unsere Kaufmannstruppe gut ist zu Tieren, sie mag,
Respekt haben und einen gelassenen Umgang pflegen – untereinander und zu

unseren Mitgeschöpfen – zumal wir auf sie angewiesen sind, besonders auf die
Pferde…
Nach der Fahrt, unterbrochen von einer langen Mittagspause in leicht gewellter
Landschaft mit blickdichten Büschen und Sträuchern (es gibt zwanghafte
Situationen, da sind solche Plätze sehr nützlich…) landen wir schließlich am
Zielort Tauberbischofsheim, eskortiert von der Polizei, die uns auch durch rote
Ampeln laufen und fahren lässt – vorbei an nahezu ausschließlich fröhlichen
Autofahrern, die sicher noch nie von einem solch tollen, sehens- und
erlebenswerten Zug aufgehalten wurden. Wie der ein Lob der Langsamkeit und
des Innehaltens in der schnelllebigen Zeit…
Und dann der grandiose Empfang in Tauberbischofsheim mit einer
wunderbaren Bevölkerung, die uns neugierig und mit Begeisterung empfing,
mal ausgelassenen, mal verhaltenen „Jubel-Jubel-Rufen“ – Gänsehautfeeling…
Rein in die Altstadt, umsäumt von hunderten Menschen, die sich die Augen
rieben vom Anblick unserer fast zwanzig Wagen, unseren originalgetreu
gekleideten Knechten, Mägden, Kaufleuten, unserem Medicus, unseren
Fuhrleuten – immerhin rund 140 Menschen in einen schier endlosen Zug.
Empfang von einem Statthalter des ehemaligen Fürstbischofs von Mainz und
Worms, in dessen Bistum sowohl Tauberbischofsheim lagen als auch
Seligenstadt. Wieder eine Gemeinsamkeit. Empfang und Begrüßung von der
Bürgermeisterin (ein „unserer“ Zeit gemäßes Gewand wäre auch schick
gewesen…). Umso herzlicher wurden wir empfangen mit Darbietungen
örtlicher Vereine mit Volkstanz und natürlich Essen und Getränken.
Sehr erfolgreich waren wir mit dem Verkauf unserer Münzen; das Argument,
dass damit das Abendessen für unsere Pferde gesichert würde, hat Manchen
angeregt, zu kaufen – mit und ohne Band…
Es war einfach wunderbar, in der Menge zu baden, die fröhlich und offen alle
unsere Leute begrüßten und aufnahmen. Eine bleibende Erinnerung an ein
sympathisches badisch-fränkisches Völkchen, das uns in vier Jahren wohl
wieder genauso begrüßt – und dass wir animieren konnten, mal unser
Städtchen Seligenstadt zu besuchen.
Dann ging‘s mit lautem Trommelwirbel ab zum Reiterhof – ich stieg vorher aus
in mein Hotel – über den Rest des Tages senkt sich diskretes Schweigen – es sei
denn, es gibt jemanden, der das dezent preisgibt…
JUBEL!

Raimund Wurzel

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