Der Löffeltrunk

Der Löffeltrunk, das Hänseln, die Satisfaktion

Dem Wesen nach gehört der Hänselbrauch zu den bei fast allen Völkern der Erde verbreiteten Initiationsriten. Die Völkerkunde bezeichnet damit Aufnahmebräuche, durch die man Mitglied einer Gemeinschaft wurde. So auch in Seligenstadt. Jeder Neuling, ob Herr oder Dame, der zum erstenmal in der Geleitskutsche an einer Geleitsreise teilnahm, wurde durch den Hänselbrauch in die Gemeinschaft der Kaufleute, die sich gewöhnlich „löbliche Compagnie“ nannte, aufgenommen. Das Hänseln der Kaufleute in Seligenstadt war nicht etwa ein willkürlicher Scherz; er wurde vielmehr als altüberlieferter und verbindlicher Rechtsbrauch empfunden und ausgeübt.

Wenn die „Hänseley fürgenommen“ wurde, versammelte sich die Reisegesellschaft im Gastzimmer des Stammgasthauses zum Löffeltrunk: die mitfahrenden Kaufleute, auch die Frauen, ferner die „Nürnberger Einspännigen“ (Geleitsreiter), der Geleitskutscher und seine Stangenreiter, eine zeitlang auch die kurfürstlichen Beamten des Geleits. Dem Neuling wurde die hölzerne Kette des Löffels um den Hals gelegt und mit dem daran befindlichen Endhaken zu einem „Kragen“ geschlossen, so dass er an den Löffel gebunden war. Erst nach dem Trunk und der Satisfaktion wurde er davon gelöst.

Im allgemeinen bestanden die Hänselbräuche ursprünglich aus einem sehr rauhen, fast grausamen Teil, der sogenannten Vexation, um den Mut und die Standfestigkeit der Neulinge zu erproben, und aus einem humaneren Teil, welcher der Geselligkeit diente. Auch die Vexation im Seligenstädter Brauch war ursprünglich rigoros. Man stellte die Forderung, die Schale des Hänsellöffels, die mit einem Liter Wein gefüllt wurde, in einem Zug auszutrinken. Wem dies gelang der war von der Satisfaktion befreit, d. h. er brauchte nicht die Hänselgebühr zu bezahlen. Er war jedoch nicht, wie man heute oft hört und liest, von den Geleitsgebühren befreit. Die wurden nach wie vor bei den kurfürstlichen Zollstationen entrichtet.

Wem es nicht gelang, den Löffel in einem Zug zu leeren, der musste zur Strafe „Satisfaktion“ leisten, Das geschah am häufigsten. Der Gehänselte hatte nun die ganze „Compagnie“, d. h. die mitreisenden Kaufleute und das Geleitspersonal freizuhalten. Viele verzichteten von vornherein auf die Trinkprobe aus Rücksicht auf ihre Gesundheit und zahlten freiwillig die Satisfaktion.

auszugsweise aus dem Heft: Seligenstädter Geleitswesen von Dr. Joseph Schopp

Mehr erfahren sie bei: Ordensbruderschaft vom steyffen Löffel zu Seligenstadt

Der Nürnberger Löffel

Der Augsburger Löffel

Der Willkommlöffel