Das Geleit

Geleit: Ein Wort, welches aus unserem täglichen Sprachschatz verschwunden ist. Heute würde man von bewaffnetem Konvoi oder ähnlichem sprechen. Aber gerade das Wort Geleit drückt etwas aus, das anderen Bezeichnungen fehlt. Freunde und gute Bekannte geleitet man, d. h. man zeigt ihnen den Weg, begleitet sie in hilfreicher Weise, damit sie sicher zum Ziel gelangen.

Die Stadt Frankfurt, deren Entwicklung zur „Freien Reichsstadt“ 1372 abgeschossen war, wurde im Mittelalter zu einem Waren- und Geldmarkt von Weltgeltung. Der Haupthandel spielte sich auf „Messen“ ab, wo jährlich Riesenumsätze erzielt wurden. Die Messen waren im Gegensatz zu den heutigen Mustermessen, Warengroßmärkte, wo Kaufleute ihre Güter feilboten und verkauften. Das Einzugsgebiet der Frankfurter Messe erstreckte sich fast über ganz Europa. Auch die süddeutschen Städte Nürnberg und Augsburg schickten ihre Erzeugnisse und Handelsgüter auf den Frankfurter Markt. Ursprünglich, wohl bald nach 1150, veranstaltete die Stadt eine Messe. Im Jahr 1330 erhielt sie das Privileg, zwei Messen abzuhalten, die „neue“ Messe im Frühjahr und die „alte“ Messe im Herbst.

Um sich auf dem Gütertransport vor Raubüberfällen zu schützen, bildeten die Kaufleute, auch die der Städte Augsburg und Nürnberg, große Warenzüge, die von Sicherungstruppen des Kaisers als Schutzherrn von Märkten und Straßen gegen eine Gebühr „geleitet“ wurden. Beurkundet wurde eine solcher Geleitsbrief erstmals am 11. Juli 1240 durch den Staufenkaiser Friedrich II. Das Geleitsrecht der Könige und Kaiser ging im hohen Mittelalter in die Hände der Landesfürsten über, durch deren Gebiet die Geleitszüge zogen. Zuerst war der Verlauf der Geleitsstraßen frei, man wählte die sicherste, beste und kürzeste Strecke. So verlief im 14. Jahrhundert die Nürnberger Geleitsstraße im Rhein-Main-Gebiet von Aschaffenburg bis Frankfurt, wechselnd über Babenhausen, Jügesheim oder Seligenstadt. Als aber der Kurfürst von Mainz 1486 das Recht erhielt, das Geleit nur durch eigenes Gebiet zu führen, wurde hier die Geleitsstraße vorgeschrieben und alle anderen Wege gesperrt. Die Mainzer Geleitsstrecke begann bei Tauberbischofsheim und verlief über Külsheim, Miltenberg, Klingenberg, Aschaffenburg, Stockstadt, Seligenstadt, Steinheim, Mühlheim und Offenbach nach Frankfurt.  

Der Schutzbrief garantierte allen zur und von der Messe Reisenden körperlichen Schutz durch kaiserliche Truppen. Wörtlich heißt es dort: „Wer gegen dieses Gebot verstieß, sollte wissen, dass er mit dem Zorn unserer Majestät zu rechnen hat.“   

Auch im 17. und 18. Jahrhundert war die Begleitung der Geleitszüge von Nürnberger und Augsburger Geleitsreitern eine ständige Einrichtung. Sie nannten sich in den Hänselbüchern Geleitsreiter, in den Akten der Kurmainzer Regierung wurden sie „Einspännige“ genannt. Das Wort bezeichnet nach Grimm(WB) „einen einzelnen Reiter oder Marställer, der zum Geleit mitgegeben wurde und Bestellungen ausrichtete“. Die Einspännigen waren gekennzeichnet durch gleiche Farben und ausgerüstet mit Spießen oder Büchsen. Die Nürnberger Einspännigen waren verantwortlich für die Ordnung innerhalb des Geleitszugs. Der älteste von ihnen, der ein „Beweistumb“ bei sich trug, gab die Reisetermine bekannt, regelte die Zugordnung, wachte über die Rechte der Kaufleute, verhinderte Übergriffe und Neuerungen der Geleitsherrn und berichtete darüber dem Rat seiner Stadt. Auf der Geleitsreise ritt er vorne bei der Geleitskutsche, die anderen hielten bei den Lastwagen Ordnung. Im 17. und frühen 18. Jahrhundert wurden die Geleitszüge von einer Rotte Kurmainzer Einspännigen begleitet. Eine solche Rotte bestand aus 24 Reitern, die ein Reiterhauptmann befehligte. Sie wurde vom Hof des Kurfürsten, also von Aschaffenburg, Mainz oder auch von Dieburg aus in Marsch gesetzt.    

Diese Schutzgarantie führte zu einem enormen Aufschwung der Messe und die Zahl der „geleiteten Züge“ wuchs und wuchs. Inzwischen waren die Landesherren verpflichtet worden, den Schutz der Kaufmannszüge zu übernehmen, was ihnen gutes Geld einbrachte, denn für eine sichere Reise mussten die Kaufleute kräftig in die Tasche greifen. Es gab viele Geleitswege, aber uns interessieren in erster Linie die Wege von Augsburg und Nürnberg nach Frankfurt. Diese erfuhren im Laufe der Zeit einen deutlichen Wandel, da durch das Erstarken der Territorialherren die fürstlichen Landesherren in hohem Maß eigensüchtige Interessen vertraten und die Wege nach ihrem Gutdünken festlegten. In Seligenstadt wurde meistens die letzte Rast vor der Ankunft in Frankfurt gemacht und man hatte das Schlimmste hinter sich, die 20 km bis Frankfurt waren im allgemeinen kein großes Problem mehr. Darum gab man sich auch sehr ausgelassen und vergnügt. Mit der Zeit entwickelte sich der Brauch, einen großen, 1 Liter Wein fassenden, Löffel in einem Zuge zu leeren. Das Trinken fand mit einer großen Zeremonie statt, und die Akteure mussten vor dem Trunk durch Beantwortung schwieriger und humorvoller Fragen ihr Wissen und ihre Schlagfertigkeit unter Beweis stellen. 

Dieser sogenannte Löffeltrunk war aber nicht nur eine Trinkgewohnheit, nein, er war auch ein Rechtsbrauch, denn mit ihm wurden neue Mitglieder in die Gilde der Kaufmannschaft aufgenommen. Meist handelte es sich um Neuankömmlinge, die zum ersten Mal die Strapazen einer solchen Geleitsreise auf sich genommen hatten und nun vollwertige Mitglieder der „Compagnie“ wurden.    

Belegt ist dieser Rechtsbrauch durch einen Spruch auf einer Silberplatte des Augsburger Löffels, der lautet: “ Willkommen zu Seligenstadt, hier pflegt man einzuschenken und dabey zu gedencken, was Recht der Löffel hat“      

Jede Kaufmannsgilde hatte ihren Löffel und so gab es den Nürnberger Löffel in barocker Form mit dem Reichsadler am Ende und einer 80 cm langen Kette, das Ganze aus einem Stück Holz geschnitzt. Es gab den Augsburger Löffel, mehr glatt und gerade, so wie man einen Löffel kennt. Die Löffel wurden im jeweiligen Gasthaus der einzelnen Kaufmannschaften aufbewahrt, genauso wie die zugehörigen Löffelbücher, in denen die Protokollierungen standen und die bis heute die wichtigsten Quellen des Löffeltrunkes darstellen.

Man kann sich vorstellen, dass die Ankunft eines Geleitzuges ganz Seligenstadt in helle Aufregung versetzte. Und so war wohl alles auf den Beinen, um alte Bekannte zu begrüßen oder neue kennen zu lernen. Neben dem Leben und der Kommunikation, die durch die „Fremden“ in die Stadt kam, spielten auch wirtschaftliche und finanzielle Gesichtspunkte eine nicht zu unterschätzende Rolle. Heute ist dies alles Historie, die Waren werden auf anderen Wegen sicher und schnell zur Messe gebracht. Besucher und Touristen sorgen täglich für Leben in unserer liebenswerten, alten Stadt. Der Löffeltrunk ist heute mehr eine Ehre, die auserwählten, trinkfesten Persönlichkeiten angetragen wird, die damit zum Ritter vom steyffen Löffel zu Seligenstadt werden. Nebenbei sei bemerkt, dass ein solcher Löffel und eine solche Trinkzeremonie nirgends sonst wo bekannt ist; man darf mit Fug und Recht hier von Einmaligkeit sprechen. 

Das Geleitsfest im vierjährigen Turnus soll an jene Zeit erinnern und Anlass sein, wertvolles Brauchtum zu pflegen und die wechselvolle, reiche Geschichte Seligenstadts lebendig werden zu lassen.

Die folgende Karte zeigt die alten Geleitsstraßen von Nürnberg und Augsburg nach Frankfurt:

Wer mehr Informationen über die Geschichte des Geleitswesens und des Löffeltrunkes erfahren möchte, findet diese in der Broschüre von Dr. Joseph Schopp “Seligenstdter Geleitswesen”. Das Heft wurde herausgegeben vom Heimatbund Seligenstadt e.V.

Daten zur Geschichte des Kurmainzer Geleits der Nürnberger und Augsburger Kaufleute:

Literatur (Quelle): Seligenstädter Geleitswesen, Dr. Joseph Schopp

1180Seit dieser Zeit wird in der Stadt Frankfurt jährlich eine Warenmesse abgehalten, die europäische Bedeutung gewinnt. Die Nürnberger und Augsburger Kaufleute beschicken schon bald diesen Markt mit Waren. Das Geleitsrecht wird von Kaiser Friedrich II. auf die Landesfürsten übertragen.
1330Frankfurt erhält von Kaiser Ludwig dem Bayern das Privileg, im Jahr zwei Messen zu veranstalten, die Fastenmesse (später Ostermesse) und die Herbstmesse.
1360
Vertrag der schwäbischen Städte mit Würzburg und Kurmainz, ihren Geleitszug durch deren Gebiet führen zu dürfen wegen ihres Streites mit den Grafen von Württemberg.
 
1368Die Stadt Miltenberg erhält von Kaiser Karl IV. das „Stabelrecht“: Die Nürnberger müssen sehr zu ihrem Ärger bei jedem Geleit ihre Waren aus Schiffen und Wagen in Miltenberg ausladen und feilbieten.
1374 – 1377
In diesen Jahren reisen die Nürnberger Kaufleute über Babenhausen oder Jügesheim zur Frankfurter Messe. An diesen Orten wurde das Geleit von Frankfurter Geleitstruppen übernommen.
 
1385
Kurmainz schließt mit Frankfurt einen Vertrag, wonach die Frankfurter nur innerhalb einer Fünfmeilenzone das Geleit geben dürfen.
 
1389
Der Nürnberger Geleitszug wird in Seligenstadt von dem Ritter v. Frankenstein überfallen und ausgeraubt.
 
1486
Kurmainz erhält von König Maximilian I. das Privileg, die Geleitsstraße der Nürnberger nur durch eigenes Territorium zu führen. Sie wird festgelegt (gebannt).
 
1554
Die Geleitsstraße der Nürnberger und Augsburger verläuft von Tauberbischofsheim über Külsheim, Miltenberg, Klingenberg, Aschaffenburg, Stockstadt, Seligenstadt, Steinheim, Mühlheim und Offenbach nach Frankfurt-Oberrad. Seligenstadt wird im Wechsel mit Aschaffenburg Übernachtungsort der Geleitszüge.
 
1584
Die Übergabestelle des Würzburger Geleits an die Kurmainzer Geleitstruppen wird durch zwei Säulen im „kalten Loch“ im Guttenberger Wald zwischen Würzburg und Tauberbischofsheim, genau festgelegt. Die Übergabestelle des Mainzer Geleits der Nürnberger Kaufleute an Frankfurt wird der „Fallriegel“ (Schlag) bei Oberrad, die der Augsburger die Sachsenhäuser Warte.
 
1618 – 1648
Im Dreißigjährigen Krieg kommt das Geleit von Kurmainz zum Erliegen.
 
1631 – 1634
Zu „schwedischen Zeiten“ fahren die Nürnberger mit Duldung der Schweden auf eigene Verantwortung zur Frankfurter Messe.
 
1651
Das Geleit wird von Kurmainz wieder aufgenommen.
 
1654Seligenstadt wird auf der Hin- und Rückreise Rastort zur Mittagszeit.
1765
An die Stelle der Kurmainzer Einspännigen und Beamten der einzelnen Ämter treten „Zollbereiter“ und Mainzer Husaren.
 
1782
Die Fautei Seligenstadt wird dem Oberamt Steinheim unterstellt.
 
1803
Aufhebung des Kurstaates Mainz. Das Geleit wird endgültig eingestellt.
 
2003
Nach ca. 200 Jahren trat wieder ein Kaufmannszug mit Handelsleuten und Geleit die Reise an.