13.06.2015

Kaufmannszug 2015 Augsburg – Seligenstadt 
Samstag, 13.06.2015, Rothenburg ob der Tauber – Aub

Wir kommen als Freunde

Wer kennt denn heute noch das Lied  „Drunt in der grünen Au“ oder “ als wir jüngst in Regensburg waren? Bestimmt die Wenigsten.  Aber auch die typischen Zeltlager- und Lagerfeuerlieder wie „die Affen rasen durch den Wald“, „ein kleiner Matrose“, „Theo, spann den Wagen an“ u.v.a. werden hier von den Großen an die nächste Generation weiter gegeben. Auf Wagen 1 von Stephan Sprey wurde besonders viel geträllert, da, wo sich schon seit 12 Jahren immer alle Kinder versammeln. In Zeiten von Smartphones und Generation „Kopf runter“ eine tolle Beobachtung. In ruhigeren Momenten werden dann auch mal von Moni Zöller Märchen wie König Drosselbart oder Prinzessin Himmelblau erzählt. Hier hören nicht nur die Kleinsten begeistert zu. Großartig.

Überhaupt eine Sache, die den Kaufmannszug auszumachen scheint. Hier wird Geschichte lebendig gemacht.  Natürlich schauspielern wir, füllen eine Rolle aus, als Fuhrmann, Kaufmann, die vielen Markendenterinnen, Gaukler, Soldaten und alle anderen. Aber spätestens am zweiten Tag identifiziert man sich auch damit, empfindet jeden neonfarben gekleideten Radfahrer, jedes Auto, überhaupt jegliches Produkt der modernen Zivilisation als unnatürlich. Es gibt viele Momente, in denen man sich durchaus in diese Zeit zurückwünscht. Gerade wir, die wir den Vergleich haben. In Zeiten des Internet-Wahnsinns, der Reizüberflutung, Hochindustrialisierung, beruflichem Druck und den gesundheitlichen Folgen hieraus, kann man sich hier zumindest für einen Augenblick für eine oder für zwei Wochen fallen lassen. Mancher der Teilnehmer hat sich sicher vorgenommen, in Zukunft vielleicht das eine oder andere in seinem Leben gemächlicher angehen zu lassen. Da bin ich mir ganz sicher.

Eigentlich soll ich ja einen Tagesbericht schreiben, aber mir gehen so viele Sachen im Kopf rum, die ich loswerden  möchte und muss. Menschen unterhalten sich hier!!  Ich bin auch sonst ein durchaus kommunikativer Mensch, aber hier hat man die Gelegenheit und Gelassenheit, viele intensive Gespräche zu führen, die einen sehr berühren. Zudem hatten wir natürlich überwiegend viel Freude und Spaß und von ganzem Herzen. Hier war nichts, aber auch gar nichts oberflächlich.

Heute geht’s nach Aub – Bergfest – Halbzeit – Morgen wird es einen Ruhetag geben (für uns ist hier Endstation, wir warten in Seligenstadt auf unseren Tross) und alle freuen sich auf diese herzliche und freundliche Stadt.  Wir starten relativ pünktlich um 9.15 Uhr und werden in den nächsten 7 Stunden durch genau 5 Ortschaften durchkommen, darunter Metropolen wie Gattenhofen, Adelshofen und Gickelshausen. Freundliche gepflegte Ortschaften in Mittelfranken, deren Bewohner uns alle herzlich begrüßt haben. Uns sind auf unserer heutigen Strecke genau drei Autos entgegen gekommen und wir hatten das Gefühl, hier ist die Kornkammer Europas. Norbert Zöllers, bekanntlicherweise Kreislandwirt, standen die Tränen in den Augen ob dieser Weite und Fruchtbarkeit der Erde.

Aub nun, ein kleiner Fleck im Ochsenfurter Gau, zählt zu Unterfranken, knapp an der Baden-Württemberger Grenze und somit katholisch geprägtes Grenzland, hat seine historische Bedeutung durch die Kaufmannsrouten erhalten. Als Schnittpunkt der Ost-West- von Regensburg, Nürnberg nach Frankfurt und der Nord-Süd-Route von Hamburg,  Kassel  bis nach Rom, kann man sich vorstellen, welche Bedeutung diese kleine Stadt schon seit dem frühen Mittelalter hatte. Die Stadtrechte bekam Aub schon Anfang des 15.Jahrhunderts verliehen und das ganze Jahr war hier reges Treiben. Man kann sich das heute vielleicht mit dem Drehkreuz Frankfurter Flughafen vergleichen. Damals war jedes zweite Haus eine Gastwirtschaft und jede Familie lebte von den Reisenden, in dem sie als Wagner, Sailer oder Sattler dafür sorgten, dass alle, gut ausgestattet und wohlversorgt, weiter ziehen konnten. Die Gasthäuser sind mittlerweile etwas weniger und längst gehen die Auber moderneren Berufen nach, aber eines haben sie sich offenbar über all die Jahrhunderte bewahren können: Ihre Gastfreundschaft. Vorweg: ich sitze hier in einem Haus von Patrick und Bärbel, die sich uns so vorstellten  am Markplatz  und tippe diese Zeilen ein. Das vorhin und was im Moment da unten abläuft ist der Hammer. Eine tolle Begrüßung mit Musik und Tradition, jubelnde Auber und Seligenstädter am Straßenrand,  eine Tafel mit Essen, Getränke, ein Treiben und man fühlt sich sehr herzlich aufgenommen. Wir kommen als Freunde zu Freunden.

Unbedingt berichtenswert: Ca. 5 km vor Aub kamen zwei Berittene und überbrachten uns mit einer Begrüßungsurkunde die offiziellen Regularien des Bürgermeisters für unsere Ankunft in der Stadt. Unter anderem die Vorgabe, dass verheiratete Weibsleute sich nach Einbruch der Dunkelheit nur in Begleitung ihrer Männer bewegen dürften und zum anderen, dass am nächsten Morgen zu unserem Herrn gebetet werden möge. Hierzu hätten auch die Ungläubigen zu erscheinen. Verbunden damit haben wir einen Taler überreicht bekommen, der uns freien Verzehr bis zur neunten Stunde gewähren solle. Eine schöne und gelungene Überraschung und selbstverständlich wurde ausreichend gejubelt.

Ein Wort noch zu den Musikern, die uns in dieser Woche begleitet haben. Ich selbst habe hier natürlich ein verstärktes Augenmerk. Unermüdlich an vorderster Front, mit militärischer Härte und Aufforderung zum orgastischen   Volksliedersingen, Karl-Heinz Kopp mit seinem Adjutanten Robert Wurzel von der Edelweiß-Fraktion. Dann natürlich Alice alias Christopher aus Aub, der sein Handwerk versteht und innerhalb von zwei Minuten jede Gesellschaft auf diesem Erdball zum kochen bringt.  Klaus, auch aus Aub, ist für mich der Troubadour der Truppe. An jeder Rast sitzt er zupfend mit seiner Gitarre auf einem Holzstamm und sorgt für gepflegte Unterhaltung. Christine aus Würzburg, eine echte Bereicherung an der Gitarre und eine tolle Stimme. Ja, der Peter Knapp natürlich am Akkordeon, der den Kaufmannszug immer zu nutzen scheint, um Akkordeon zu üben. Der Typ ist sowieso ein Original (Heute ist übrigens sein neues Wagenrad gekommen, das am Mittwoch zerbrochen  ist, siehe Bericht).  Und dann natürlich Annika an der Geige. 15 Jahre, stellt sich morgens in die Kirche, begleitet den Gottesdienst, oder spielt Volkslieder mit. Hallo, welche 15-Jährige kann das noch? Und dann noch unsere Jagdhornbläser Mille, Peter Knapp und auch mal der Rusty mit ihren Signalen, wenn wir durch die Ortschaften fahren.

Zum Schluss noch einige für mich  ungeklärte, seltsame oder auch schöne Dinge:

Warum laufen Pferde bei 35 Grad im Schatten gefühlt doppelt so schnell?

 Oder warum ist es egal, wenn aus angegebenen 28 km immer 5 km mehr werden (lieber Stephan, manche lassen GPS mitlaufen J)

oder: wie ist es möglich, auf einer ungefederten Kutsche auf einem holprigen Feldweg zu schlafen?

Warum empfindet es keiner als asozial, bei 35 Grad im Schatten, völlig außer Atem, einen oder zwei Hochprozentige, getarnt als Medizin gegen Läuse und Syphilis zu trinken?

Wie schön es sein kann,  wenn ganze Kindergärten oder Schulklassen am Straßenrand stehen und begeistert werden können.

Das größte Rätsel: ich hätte nicht gedacht, irgendwann auf dieser Tour „Jubel“ zu rufen. Das ging auf den Vorbesprechungen gar nicht so an mich. Es hat genau zwei Tage gedauert.

Vielen  Dank  von uns, und ich spreche hier bestimmt für alle Teilnehmer, an die Orga und den Support, an die Auber und alle, die uns so herzlich aufgenommen haben.

JUUUBEEEEL

Norbert Zabolitzki

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